Wenn Bauforscher, Statiker und Restauratoren Bauwerke untersuchen, dringen sie oft in Bereiche vor, die lange niemand gesehen hat. Mit Hammer, Meißel und Brecheisen entfernen sie behutsam jüngere Einbauten oder nehmen vorsichtig historische Bauteile auf, die später wieder an ihren Platz zurückkehren sollen. Sie tun das, um Einblicke in die Konstruktionsweise, den Zustand von Bauteilen oder die bauliche Entwicklung bestimmter vorher als aufschlussreich identifizierter Bereiche zu erhalten. Nicht selten werden die Experten dabei überrascht. Durchaus selten ist aber der Fund von Botschaften an die Nachwelt.
So geschehen im Westturm von Schloss Friedenstein. Bei Freilegungen haben die von der Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten (STSG) beauftragten Fachleute die anstehenden Sanierungsmaßnahmen im Rahmen des 110-Millionen-Euro-Projekts für Schloss Friedenstein im Sinn. Neben dem baufachlichen Erkenntnisgewinn begegnetet ihnen jedoch auch noch etwas Kurioses – eine Flaschenpost. Sie lag in einer kleinen Kammer unter dem Bodenbelag beim Sockel einer Sandsteinsäule. Zwar war die Glasflasche stark beschädigt. Kaum in Mitleidenschaft gezogen waren aber der Porzellanverschluss und der Inhalt – zwei handgeschriebene Zettel.
Die Säule selbst stammt aus der Bauzeit des Schlosses im 17. Jahrhundert. Die Nachricht ist wesentlich jünger. Bei einer Umgestaltung der fünf an das Kämmerchen angrenzenden Räume hatte man 1891 die Flaschenpost mit Informationen zum zur Baumaßnahme hinterlegt, die auch Hinweise zu aktuellen Geschehnissen und aktuellen Lebensmittelpreisen enthält.
„Die Nachricht wirft ein knappes, aber aufschlussreiches Schlaglicht in die Baugeschichte des Schlosses“, so der von der STSG beauftragte Bauhistoriker Udo Hopf, der das Dokument umgehend analysiert hat. „Wir erfahren, wie die Räume zuvor genutzt wurden und wer an der Neugestaltung von fünf Räumen 1891 beteiligt war, vom herzoglichen Baurat bis zum Tünchergesellen und der ‚Reinigungscommission‘. So detaillierte Informationen sind selten, und wir müssen sie sonst meist aus mehreren Rechnungen und anderen Archivalien zusammentragen.“
Die betreffenden Räume seien „im Jahre des Unheils 1891“ für die Nutzung durch das Staatsministerium „neu hergerichtet“ worden, unterrichtet die anonyme Nachricht. Zuvor habe hier die „gothaische Geldlotterie“ mit „jedes Jahr 4 Ziehungen“ stattgefunden. Zudem werden beispielhaft einige Lebensmittelpreise aufgeführt: „Das Pfund Brod kostet 15 bis 18 Pfennige“, „der Centner Kartoffeln 4 Mark und drüber“. Berichtenswert schien dem Schreiber der Notiz offenbar auch eine Militärübung: „Im August dieses Jahrs fand großes Kaisermanöver zwischen Erfurt u. Gotha statt bei welchem das 4. Armeekorp gegen das 11. bei Langensalza u. Mühlhausen ging.“ Nebenbei wird mit dem 1. Oktober noch das exakte Datum der Inbetriebnahme des neu errichteten Gothaer Schlachthofs benannt.
Nicht vergessen wird auf dem Zettel auch etwas Wesentliches, das in Bauberichten bis heute meist zu kurz kommt – die Reinigung als Abschluss der Arbeiten. Auch hier werden – mit Bleistift nachträglich ergänzt – die Akteure namentlich benannt. Aus heutiger Sicht kurios sind dabei die zum Teil an das Militärische angelehnten Funktionsbezeichnungen: „Die Reinigungscommission bestehen[d] aus den beiden Herren Hoftagelöhner Eckardt u. Reinhardt sowie den so genannten Hofdamen der Frau Luzi als General und dessen Tochter verehelichte Frau Platz (Schuhmacher) als Adjutant.“
Franz Nagel für die Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten
Übrigens: Vorschläge, warum 1891 auf dem ersten Blatt als “Jahr des Unheils” bezeichnet wird, sind herzlich willkommen unter pressestelle@thueringerschloesser.de