Nicht immer liegen die Gründe für Bauschäden allein im Sanierungsstau, der viele Denkmale plagt. Manchmal wurden die ersten Weichen dafür auch schon in der Erbauungszeit gestellt – wie im Ostturm von Schloss Friedenstein. Dort hatten Statiker im Frühsommer 2020 gravierende Probleme mit mehreren Ursachen festgestellt. Die sofortige Sperrung und eine aufwendige Notsicherung waren die Folge. Nun ist der Turm vorübergehend wieder zugänglich – samt seinen rund 300.000 Büchern, von denen ein erheblicher Teil nun allerdings für die eigentliche Sanierung bald ausziehen muss.
Zwar ist die Last der enormen Bücherschätze Teil des statischen Problems. Sie würden aber weniger stark ins Gewicht fallen, wenn die Baumeister des 17. Jahrhunderts nicht bereits einen folgenreichen Fehler gemacht hätten. Wenige Jahrzehnte nach dem 1643 begonnenen Bau des Schlosses brannte der Ostturm. Zerstört wurden dabei das Dach und die hölzerne Geschosskonstruktion. Beim Wiederaufbau baute man nicht wie auf dem westlichen Pendant das Dach pyramidenförmig wieder auf, sondern als geschwungene Haube. Außerdem gab es nun eine kleinteiligere Binnenaufteilung anstelle des vorherigen großen Saals. Die Folge war, dass die Lasten von Dach und Geschossdecken nun weniger gut auf die massiven Außenwände abgeleitet wurden, sondern zum Teil im Inneren aufgefangen werden mussten. Zur Stabilisierung sollte eine etwa einen Meter dicke Innenwand beitragen. Die war ihrer Aufgabe zwar gewachsen, allerdings stand sie – langfristig betrachtet – auf tönernen Füßen.
Drei Natursteinpfeiler im Erdgeschoss, über denen die Mauer errichtet worden war, leiten die Lasten auf die darunterliegenden Kellerpfeiler. Die trugen also letztendlich fast 350 Jahre lang tapfer einen erheblichen Teil der Lasten des Turms. Mit dem Einbau mehrerer tausend Regalmeter im 20. Jahrhundert, deren Lasten ebenfalls zum Teil auf die Innenwand geleitet wurden, kam noch einmal erhebliches Gewicht hinzu.
Als 2020 Statiker begannen, den Turm für die anstehende Sanierung zu untersuchen, stellten sie Risse an den Pfeilern fest. Sie schlugen den Putz ab und waren beunruhigt – die Risse zogen sich bis tief ins Mauerwerk, ein plötzliches Versagen der Stützleistung konnte nicht ausgeschlossen werden.
Ein Hilfskonzept war schnell entwickelt. Feste Umgurtungen aus Stahlträgern sollten die Pfeiler wieder stabil und tragfähig machen. Angesichts der Lage musste allerdings zuerst das ganze Kellergewölbe abgestützt werden, damit die Handwerker gefahrlos arbeiten konnten. Stück für Stuck wurde vom Zugang her ein Sicherungsverbau aufgestellt. Das Gewölbe erinnerte dann ein wenig an ein Bergwerk. Erst dann erhielten die drei freistehenden Pfeiler und zwei Außenwandpfeiler ihre stählernen Korsetts, die zum Korrosionsschutz noch mit Beton ummantelt wurden.
Nun konnte Entwarnung gegeben werden. Nach mehreren Monaten Sperrung konnte die Forschungsbibliothek Gotha der Universität Erfurt ihre im Turm lagernden Bestände wieder für die Nutzer zugänglich machen. Allerdings bedeutet das nur eine kurze Verschnaufpause. Die Untersuchungen an der Baukonstruktion des Turms, die ebenfalls unterbrochen werden mussten, laufen nun wieder an. Ziel ist die grundlegende Sanierung. Das bedeutet für die Forschungsbibliothek, dass zunächst 4.500 laufende Meter Bücher ausgeräumt werden müssen. Das bringt nicht nur freie Sicht auf die Wände, sondern auch Entlastung – aber gerade deshalb muss man dabei planvoll vorgehen. Denn ein zu schnelles oder ungleichmäßiges Entlasten könnte schwere Folgen für die Konstruktionen haben, die sich im Lauf der Zeit unter dem Gewicht verformt haben.
Franz Nagel für die Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten