Fürsten der Frühen Neuzeit regierten nicht nur ihr Land, sondern standen als eine Art Hausväter auch der Hofgesellschaft vor – den Hofdamen, Amtsträgern und Bediensteten, die sich als hierarchisch strukturierte Gemeinschaft um die fürstliche Familie scharten. Der Fürst war das Zentrum dieser Gemeinschaft, und er sorgte für Disziplin. Ein Mittel dazu waren „Gehorsame“. In diesen Arrestzellen wurde festgesetzt, wer sich als respektlos erwiesen oder bestimmte Regeln übertreten hatte. Prominentestes Thüringer Beispiel ist Johann Sebastian Bach, der ohne Erlaubnis seines Weimarer Dienstherrn einen Vertrag in Köthen unterschrieben hatte und dafür mehrere Wochen büßen musste – in einem beheizbaren Haftraum in der Bastille am Residenzschloss.
Echte Verbrechen unterlagen der Gerichtsbarkeit und wurden in finsteren Verliesen geahndet. Für Vergehen wie den Ungehorsam Bachs, eine Prügelei unter Stallknechten oder ein Mundraub in der Schlossküche gab es komfortablere Räume, in denen die Delinquenten reuig werden sollten. Auf Schloss Friedenstein sind Reste eines solchen Raums im Dachgeschoss erhalten geblieben.
Diese Reste waren in Vergessenheit geraten, bis sie den aktuellen Sanierungsarbeiten im Weg standen. Das geübte Auge des Bauhistorikers Udo Hopf sah sofort, dass es sich nicht um einen einfachen Bohlenverschlag handelte: „Das sind zwei Blockwände, konstruiert wie eine Blockhütte, und es gibt Anzeichen einer Ofenstelle, die von außen beheizt werden konnte. Damit war schon einmal klar, dass der Raum bewohnbar war. Die Heizmöglichkeit macht ihn zu einer Stube – im Unterschied zu einer Kammer, in der es keinen Ofen gab.“ Im Archiv bestätigte sich der Verdacht, und es ergab sich sogar eine genaue Datierung: „Der Raum entstand ungefähr 1663, also in der Frühzeit des Schlosses. Aus diesem Jahr gibt es eine detaillierte Grundrisszeichnung des Schlossbaumeisters Andreas Rudolff.“ Zu dieser Zeit regierte noch der Erbauer von Schloss Friedenstein, Herzog Ernst I. Sein Beiname „der Fromme“ signalisiert strenge Ideale, und die galten natürlich im Besonderen für die Mitglieder der Hofgesellschaft. Selbstverständlich, dass vor diesem Hintergrund ein nicht unmenschlicher, aber doch fest verschließbarer Karzer unverzichtbar schien, um die menschliche Fehlbarkeit zu zügeln.
Ursprünglich war die etwa vier mal sechs Meter große Stube mit dünnen Trennwänden in zwei Räume geteilt, bot also zwei Arrestierten Platz. Die Wache konnte es sich im Vorraum neben dem Ofen bequem machen. Dieser Schauplatz der Alltagskultur musste nun den Baumaßnahmen weichen – allerdings nur 20 Meter nach Norden. Am angestammten Platz direkt angrenzend an den Westturm entsteht in Kürze der neue Aufzugsschacht für die barrierefreie Erschließung. Die Blockwände wurden deshalb abgebaut und an anderer Stelle im Dachstuhl wieder zusammengesetzt.
Franz Nagel für die Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten